Belchen Satt 600km

 

Nach Pfingsten wollten Michael Kasparick und ich uns am Belchen versuchen, von wegen Randonneur-10000-Medaille. Das sind 615 Kilometer, also nichts Besonderes, aber so eine Super-Randonnée muß mindestens 10000 Höhenmeter haben – diese Strecke hat etwa 12000. Wobei das noch konservativ gerechnet ist: die Seite gpsies.com errechnet etwa 14500 (der dortige Wert ist noch zu klein, weil die Streckendaten dort nicht ganz genau sind, z.B. sieht der dort gespeicherte Track vor, dass man in direkter Linie über den Grenzfluss Doubs fliegt; tatsächlich fährt man erst weit runter und läuft dann weit rauf, bei über 20% Steigung). Siehe mein Blog-Eintrag zu den Höhenmetern. Das wären etwa zehn Alpenpässe am Stück. Dass davon viele Strecken sehr steil und die Wege auch nicht immer die besten sind, macht das aber noch ein ganzes Stück anspruchsvoller. Mehr zur Strecke, und auch zur Bedeutung, die die verschiedenen Belchen und Ballons in Schwarzwald, Jura und Vogesen schon für die Kelten hatten, findet sich auf der Seite vom ARA Breisgau, dem Organisator dieses Brevets.

Besonders fit waren wir beide nicht, ich bin seit letztem August bis Anfang März nur wenig Rad gefahren und habe auch sonst keinen Sport gemacht. Also auch mehr Bauch als erwünscht. Im Frühling zwar einige Standardbrevets, aber immer als einer der letzten im Ziel. Was allerdings auch beabsichtigt war – ich wollte mir das Langsamfahren beibringen, anders geht das mit den Belchen ja für normale Menschen wie uns nun mal nicht. Trotzdem – gut liefen die alle nicht wirklich.

Wir reisten schon Pfingstsonntag von Hamburg an, weil da weniger Verkehr ist, und haben dann den Montag zur Entspannung und für Privates verwendet. Dienstag, als die meisten Touristen schon weg waren, ging es morgens um 7:45 Uhr los. Das Wetter versprach gut zu werden: kaum Wind, gelegentlich Gewitter, angenehme Temperaturen. Es wurde dann am ersten Tag recht schnell warm und schwül, mit einem kleinen Gewitter-Regen als Intermezzo. Die erste Nacht hatten wir pünktlich zum Aufstieg auf den Weissenstein sehr starken Dauerregen. Als wir dann oben waren, wurde er weniger, und der Himmel klarte während der Abfahrt auf. Die sehr steile Abfahrt auf schlechter Straße im Dunklen, im Regen und oben auch im Nebel (mit Brille unangenehm) hat uns voll gefordert, aber mit den Scheibenbremsen kamen wir nie in eine gefährliche Situation. Mit Felgenbremsen hätte ich dieses Brevet aber auf keinen Fall fahren wollen! Auch so tun mir die Hände 3 Tage später immer noch etwas weh. Der zweite Tag war angenehm und nicht zu warm. Die zweite Nacht etwas kalt, aber trocken – aber warm genug für Powernaps am Straßenrand. Der dritte Tag war dann wieder richtig warm. Als ich aus dem Bergwald in die offene Rheinebene kam, fühlte sich die Luft an wie eine heiße Walze. Weil die Zeit knapp war, bin ich mit Rückenwind recht schnell gefahren, bis der Kopf glühte. Also Unterhemd ausgezogen und etwas langsamer weiter. Den Kopf dann in der Dreisam (der Freiburger Hausfluss) kühlen zu können war eine wahre Wonne.

Die ungewohnte schwüle Hitze gleich am ersten Tag kam Michael nicht so gelegen, nach 100km hatte er schon heftige Krämpfe in beiden Beinen. Für die gesamte weitere Fahrt war das dann für ihn immer eine Suche nach dem gerade noch Machbaren – immer wieder mit Krämpfen. Aber er ist das zu Ende gefahren – Hut ab!

Ich hatte in der ersten Nacht mit etwas Übelkeit zu kämpfen, aber Joghurt und Milch haben das dann am nächsten Morgen in St. Imier wieder behoben. Joghurt kann ich zum Glück immer essen – egal wie übel mir ist. Das Zitronenjoghurt von der Migros kann ich sehr empfehlen, das schmeckt tatsächlich richtig nach Zitrone und nicht so schal wie das, was es hier im Norden gibt! Danach hatte ich gesundheitlich keine weiteren wesentlichen Probleme mehr – vor allen dank Michael – alleine wäre ich wahrscheinlich immer mal wieder zu schnell gefahren. Er hatte eine nicht ganz so große Übersetzung wie ich (er 36-35 und ich 34-42), und er ist alles im Sitzen (Wiegetritt) gefahren, mit einer Trittfrequenz von meistens unter 50. Das hätte ich nie fertig gebracht: erstens so langsam zu fahren, von wegen Gleichgewicht, und zweitens so langsam zu treten. Darum bin ich immer etwas vorgefahren und habe ein paar Minuten die Augen zumachen können, bis er dann kam – langsam aber pausenlos wie ein Uhrwerk. Die große Übersetzung war für mich jedenfalls Gold wert – ich habe trotzdem immer mal wieder versucht, noch weiter zu schalten!

Die Strecke an sich gefiel mir sehr gut: viele weite Ausblicke und viel Abwechslung. Langeweile kam da nie auf. Abgesehen von ein paar Ausnahmen war es auf den Straßen immer recht ruhig, der Verkehr hat uns gar keine Probleme gemacht.

Ich hätte, wenn Michael nicht gewesen wäre, wohl schon nach etwa der Hälfte in St. Imier abgebrochen. Die erste Nacht war für mich mit Abstand der härteste Teil der ganzen Strecke. Aber Michael wollte weiter, also ich natürlich auch. Am zweiten Tag, in Glainans, dachte er dann auch ans Aufgeben. Während er in Glainans schlief (für mich war das zu laut), habe ich mir Gedanken über seine Rückfahrt gemacht über Belfort, Mulhouse, Freiburg. Wenn ich Internet gehabt hätte, hätte ich auf jeden Fall auch konkrete Zugverbindungen gesucht. Aber er wollte dann auf jeden Fall bis Lure fahren und dann von dort aus weitersehen. Dort haben wir bei McDonalds sehr gut gespiesen. Der Hamburger mit Charolais-Rindfleisch ist ja sicher etwas sehr Edles, aber der Fleischgeschmack geht in einem Hamburger doch etwas unter, dafür möchte ich wohl nicht nochmal 11,80 Euro zahlen. Dort konnte ich Michael dazu überreden, es doch noch zu versuchen – mit weniger Pausen, und ich habe es geschafft, ihn dazu zu bringen, mir etwas von seinem Gepäck abzugeben, soweit der Platz in meinem Rucksack das zuließ. Das ging dann eigentlich in der Nacht über die beiden Ballons Servance und Alsace ganz gut. Aber am nächsten Tag hätten wir noch etwas schneller werden müssen. Da kam dann etwa bei Kilometer 480 der Anstieg zum Grand Ballon, den wir beide großenteils laufen mussten, zu steil, zu schlaglöchrig, zu kiesig, zu müde. Und es wurde sehr warm und schwül. Damit war Michael klar, dass das nichts wird, und er hat mich alleine ins Rennen geschickt, damit wenigstens einer das schafft. Er war davon überzeugt, dass ich das kann – ich überhaupt nicht. Aber egal – es wurde versucht. Erst einmal den Grand Ballon rauflaufen und dann weitersehen. Zum Glück war der oberste Teil dann wieder einfach zu fahren: die übliche Touristenstrecke.

Gut, dass ich in der Vornacht viele kleine Powernaps hatte: bis ins Ziel kam keine Müdigkeit mehr auf. Nun kamen auch meine beiden Powergels zum Einsatz, und es lief alles recht flüssig. Die Zeit war aber eher knapp – also nur nötigste Pausen und halt so schnell es ging. Dann kam die Abfahrt vom Col Firstplan – auf der mir plötzlich dämmerte, dass ich das dortige Kontrollfoto nicht gemacht habe. PANIK! Was nun? Den Organisator anrufen, der auf meinem Lifetracker kontrollieren kann, wo ich bin und wo ich durchgefahren bin und betteln? Aber habe ich überhaupt eine Telefonnummer? Suchen kostet Zeit! Also wieder den Berg hochgehechelt. Es ist mir immer noch ein Rätsel, wo ich da noch Reserven finden konnte. Kurz vor dem Anstieg dann wieder so ein Pass-Schild, nur eben von der anderen Seite. Würde das als Kontrollfoto wohl auch reichen? Kann ich das riskieren? Aber – habe ich dieses Schild heute nicht schon einmal gesehen? Und nicht sogar fotografiert? Also nachsehen – JA, habe ich! Ich war sogar besonders stolz darauf, wie wenig Zeit mich das kostete. Habe ich dann wohl vergessen, als ich auf der Passhöhe an einer größeren stehenden Gruppe von Rennradfahrern vorbeigehechelt bin, die mir auch in der Abfahrt noch entgegenkamen. Die haben wohl die Erinnerung an das Foto verdrängt. Ich war nun noch viel skeptischer, ob das wohl noch reicht, und bin sehr schnell mit Rückenwind durch die Rheinebene, bis ich ganz sicher sein konnte, dass auch ein Platten noch verkraftbar wäre. Da war ich dann aber auf dem Dreisam-Radweg plötzlich der langsamste Radfahrer von allen – die Luft war endgültig raus!

Ich war dann etwa 19:30 wieder auf dem Campingplatz bei Frau und Hund. Und gespannt, wann Michael wohl kommt; meine Schätzung war etwa Mitternacht. Er hat aber in der Rheinebene ein perfektes Bus-Wartehäuschen gefunden und da noch ein paar Stunden geschlafen, im Morgengrauen kam er dann auch. Man macht sich ja doch Gedanken, wenn man nichts weiß – ich kann nun diesbezüglich Petra doch besser verstehen. Er hat unterwegs 6 Kilo abgenommen und denkt nun doch, dass er schon viel früher hätte abbrechen sollen. Nochmal: Hut ab! Mittags sind wir auch schon wieder Richtung Hamburg gefahren und waren nach einer längeren Pause bei Petras Bruder bei Frankfurt etwa um Mitternacht zu Hause.

Entspannung auf dem Campingplatz
Auf dem Weg nach Schauinsland
Sanfte Hügel
Fast geschafft!
Nachmittagessen am Rhein
Urwald am Doubs – natürlich die französische Seite!
Ein typisches Kontrollfoto