Von Zug (Schweiz) nach Eystrup (Niedersachsen)

Damals

Als ich etwa 18 Jahre alt war, bin ich ungefähr diese Strecke auch schon einmal gefahren. Aber nur bei Tageslicht und nachts immer in normalen Betten. Mein Rad hatte nur 3 Gänge Nabenschaltung, aber mein Bruder Martin hat mir seines geliehen, damit hatte ich immerhin 7 Gänge und keine bremsende Nabenschaltung. Damals war das noch nicht ganz so einfach – nur eine Karte 1:300’000 von ganz Deutschland, keine Höhenangaben, kein Tourenplaner, Radwegweiser, die immer nur ins nächste Dorf zeigen oder oft auch gar keine, viel weniger und schlechtere Radwege als heute. Das war manchmal recht witzig. In Karlsruhe hatte ich irgendwann gedacht, man könnte sich ja doch mal an die Verkehrsregeln halten und die Radwege benutzen. Prompt hatte ich mich bei der Wahl zwischen Ententeich und Grützenpfuhl (oder ähnlich) falsch entschieden und mich ziemlich verfranst. Keine Sonne. Später, südlich von Nienburg, hat sich die Straße ohne Vorwarnung plötzlich autobahnmäßig ausgebaut, und ich hatte die Wahl, im rechten Winkel abzubiegen – links oder rechts. Kein Wegweiser, keine Sonne. Nach einer halben Stunde war ich wieder am selben Ort. Ich kann mich auch noch gut an die 4 Tage Nordwestwind und den vielen Regen erinnern.

Heute

Der Anlass war nicht so schön – mein Bruder Martin hat sich in Eystrup beim Reiten schwer am Rücken verletzt. Er wurde am Donnerstag, 17.10.2019, von der Rega in die Schweiz geflogen und Freitag erfolgreich operiert. Wahrscheinlich wird er wieder 100% gesund.

Dann war da aber in Eystrup noch sein Auto, seine Tochter, unsere Mutter und ein Hund, die alleine nicht nach Zug gekommen wären. Also habe ich sie am Donnerstag in die Schweiz gefahren, abends bei meinem Vater gegessen und mich dann um 20:15 Uhr mit dem Rad auf die Rückreise gemacht. Für die Radfahrt hatte ich mich entschieden, weil die Bedingungen selten so gut sind – vor allem um diese Jahreszeit. Die ganze Zeit Rückenwind (schwach bis leicht) und sehr warme Nächte.

Weil ich keine Zeit für eine gründliche Planung hatte, habe ich mir die Strecke von Komoot vorschlagen lassen und sie leicht angepasst. Mein erster Kontakt mit Komoot. Im Wesentlichen eher positiv, aber nicht optimal für diese Art von Fahrten. Auch wenn die Strecke drumherum nur minimal länger war, ging es immer über die Hügel. Ich habe unterwegs oft improvisiert und bin gerade nachts eher auf den Hauptstraßen gefahren statt auf den von Komoot favorisierten Nebenstraßen. Mit Rückenwind und Lenkeraufsatz auf der Straße ist das mindestens doppelt so schnell wie auf den Radwegen – gerade bei nassem Herbstwetter. Für die vielen Baustellen kann Komoot ja nichts. Geplant waren 801km, es wurden dann 815km.

Im Schweizer Mittelland hat es gelegentlich leicht geregnet, aber kein Grund für eine Regenjacke. Auch auf dem Bözberg war es viel wärmer als prophezeit – sicher 13 Grad. Im Rheintal nachts nie unter 17 Grad. Der erste richtige Regen kam etwa 130km vor Frankfurt, aber dafür gleich ein richtiges Unwetter mit anschließendem Landregen. Danach wusste ich dann, was ich von meiner neuen Ausrüstung zu halten habe. Die letzten 120km von Heidelberg bis zur Übernachtung waren dann etwas lästig – enorm viele Stadtdurchfahrten und erstaunlich hügelig. Da hätte ich sicher etwas besseres geplant, wenn ich Zeit gehabt hätte. Zuletzt noch quer durch Darmstadt, Sachsenhausen und Frankfurt. Übernachtet habe ich bei Petras Bruder nördlich von Frankfurt, nach 450km in ziemlich genau 24 Stunden. Angedacht waren etwa 3 Stunden Pause – aber es fiel ihnen nicht schwer, mich zu einer ganzen Nacht zu überreden. Erst am nächsten Morgen (Samstag) um 9:50 Uhr ging es dann weiter. Meinen Bruder Stefan in Gießen, wo ich quer durch bin, zu besuchen, hat leider nicht geklappt. Dieser Tag war ganz angenehm – warm, trocken, Rückenwind, wenig Steigungen. Die kamen eher abends. Um 20 Uhr kam dann auch kräftiger Regen – es regnete dann meistens bis Eystrup.

Eine Abwechslung war der Anstieg auf den Marsberg zwischen Korbach und Paderborn. Schon die Hälfte hinauf gefahren, dann war aber vor mir Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen. Die Autos sollten wenden, ich auch – es würde wohl länger dauern. Ein Auto brannte, und dummerweise hatte es einen Gastank. Ich habe dann ganz harmlos einen Polizisten nach einer alternativen Strecke gefragt (hätte ich genauso gut alleine gefunden) und mich etwas dumm gestellt (das kann ich gut), bis er nach ein paar Minuten meinte, der Brand müsste doch inzwischen gelöscht sein – er könne mich da sicher durchlotsen. Was er auch tat, mitten durch und quer über die ganzen Feuerwehrschläuche. Also war der Anstieg dann doch nicht umsonst.

Später – um 23:14 Uhr – habe ich in einer Schutzhütte bei Vlotho Pause gemacht. Gut, dass meine Fahrrad-Straßenkarte Schutzhütten anzeigt. Da gab es Bänke, Stühle, Tische, Zewa-Rolle, alles mit einem Dach – es regnete ja. Kalt war es in der Alufolie auf der Bank, aber ich habe wohl doch geschlafen – gefühlt war ich da etwa eine Stunde. Aber laut Aufzeichnung tatsächlich ganze drei Stunden.

Danach ging es locker weiter. Am Südrand von Nienburg noch eine heiße Schokolade genossen. Um 9 Uhr war ich dann in Eystrup bei meiner Tante. Geduscht, gefrühstückt, etwas geschlafen und dann mit dem Auto wieder nach Hause. Petra und Fiete waren sehr froh, dass ich wieder da war – für die nächsten paar Tage hatte ich Fahrradverbot.

Der Tiefpunkt war auf jeden Fall der Aufenthalt in der Schutzhütte – kalt und nass. Ich hatte vor der Abfahrt noch überlegt, mir einen leichten Schlafsack zu kaufen, den ich nächstes Jahr sowieso brauche – der wäre sehr hilfreich gewesen.

Nach Brevet-Regeln hätte ich 58:40 Stunden Zeit gehabt – gebraucht habe ich 1:40 Stunden mehr. Aber bei einem Brevet hätte ich auch keine 13:30 Stunden Pause am Stück gemacht- von daher bin ich mit dem Resultat durchaus zufrieden.

Insgesamt bin ich doch sehr froh, das gemacht zu haben – ich hätte mich sonst noch jahrelang geärgert, diese Gelegenheit nicht genutzt zu haben.

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