Brevet Mille Miglia 1600km am 16.8.2016

ac

Die schlechte Vorbereitung führte leider zur frühzeitigen Aufgabe nach 510km. In den zwei Wochen vorher habe ich immer nur sehr schlecht geschlafen. Selten war eine Autofahrt für mich so anstrengend, obwohl ich die Hinfahrt auf zwei Tage verteilt  habe mit Übernachtung in Brunnen/CH. Auch dort habe ich kaum geschlafen, obwohl ich in genau diesem Hotelzimmer schon mehrmals geschlafen hatte. Dann am nächsten Tag aus dem kühlen Norden in die recht warme, sehr schwüle Po-Ebene. Nach der Grenze in Chiasso nur noch Landstraße, um mich schon mal an den lokalen Verkehr zu gewöhnen. Der Start war abends, und tagsüber war an Schlaf auch nicht zu denken. Und ich hatte auch keine Zeit, um mich an die viel höhere Temperatur als im kühlen Norden zu gewöhnen.

Wie üblich bei großen Brevets hieß es erst einmal lange in der Startaufstellung warten. Kurze Schrecksekunde, als direkt neben mir ein Gewehrschuß fiel – nein, es war doch nur ein spontan platzender Reifen meines Vordermannes. Der Schlauch war eingeklemmt.

Nach dem Start wurde kräftig Gas gegeben. In der Stadt hat es erstmal niemanden interessiert, ob er nun Vorfahrt hat oder nicht – ich wollte aber den Anschluss an die Gruppe nicht verlieren und habe eher etwas mehr riskiert als sonst.Wie allgemein bekannt, wird in Italien viel kreativer gefahren als hierzulande, was mich aber – im Gegensatz zu manch anderem deutschem Mitfahrer  – nie wirklich gestört hat. Mit Autos hatten wir nie wirklich Probleme – der größte Teil der Strecke verlief auch über sehr verkehrsarme Straßen.

Uns saß ein kräftiges Gewitter im Nacken, das uns bis in die frühen Morgenstunden verfolgte. Aber auf diesem Brevet ist es sowieso üblich, die erste Nacht sehr schnell zu fahren. Auch für mich ergab das für die ersten 200km einen Schnitt von über 30km/h. Die 380km durch die Po-Ebene sind topfeben, danach kommen kurz nacheinander zwei Pässe mit insgesamt knapp 2000 Höhenmetern. Da will man eine Reserve haben, um in den erlaubten Zeitfenstern zu bleiben.

Am ersten Morgen hatte ich Rückenwind – und gerade dann strenge ich mich immer besonders an. Leider habe ich das zu lange durchgezogen, als es heiß wurde, und dann richtig Probleme bekommen. Nachmittags fuhr ich durch in etwa das einzige Waldgebiet und suchte nach einem Schlafplatz. Da ging dann ein Weg ab, an dessen Ende eine Hängematte zu sehen war. Nur – kurz nach dem Abzweig hieß es dann Privatweg. Also habe mich mich genau da zum Schlafen niedergelegt. Als ich wach wurde, stand neben mir ein älterer Herr mit einem massiven Knüppel in den Händen und fragte mich ganz freundlich, was ich da denn so mache. Daraus entwickelte sich eine nette Unterhaltung – ich durfte seinen Gartenschlauch mit eigenem Grundwasser benutzen und bekam in seiner kühlen Küche auch noch jede Menge Fruchtsaft. Die Hängematte hätte ich dann gerne auch noch benutzen dürfen – aber mir wurde die Zeit leider zu knapp.

Die Jahreszeit war ganz passend für die Verpflegung – unterwegs gab es viele Gelegenheiten, Pfirsiche und Nektarinen zu kaufen. Ab 30 Cent pro Kilo war man dabei – für hofeigene, schön saftige Früchte (morbido heißt das Zauberwort). Wobei die meisten nur aus Sizilien importierte hatten – steinhart.

Am ersten Abend saß ich auch wieder am Wegesrande in einer Kombi Verkauf/Restaurant und aß meine Nektarinen. Das war am Anfang des ersten Passes. Riolo Terme, glaube ich. Da staunte ich nicht schlecht, als innerorts ein Auto mit  etwa 90 km/h talwärts vorbeirauschte. Na ja – nichts Besonderes. Aber dass die Heckklappe des Kombis hochgeklappt war und ein Radfahrer im Abstand von etwa einem Meter dahinter fuhr, dann doch. Da wollte wohl jemand einen Rekord brechen …

Später in der Nacht, als ich die Passhöhe erreicht hatte, die nächste Schrecksekunde: Hinter mir laute Rufe, Beifallklatschen und ein Böllerschuss. Das war tatsächlich ein Automat, der so auf alle Radfahrer reagierte!

Danach ging es nur noch bergab zur nächsten Kontrollstelle. Ich hätte zwar noch ausreichend in der Zeit gelegen, um weiterfahren zu können, aber der Gedanke an den nächsten heißen Tag und weitere private Gründe ließen mich dann doch abbrechen.

Da man in Italien das Rad nur in Regionalzügen mitnehmen kann, durfte ich dann 5mal umsteigen, bis ich nach 11 Stunden wieder am Start war. Tickets weiter als bis zur nächsten Groß-Stadt gibt es auch nicht. In einem der ersten Abschnitte konnte ich dann einen Schaffner dazu überreden, mir ein Ticket bis Mailand Hbf auszustellen – er meinte erst, das ginge nicht, aber eine halbe Stunde später kam er dann wieder mit genau dem. Was er mir auch erklärte, war, dass ich Tickets in Regionalzügen auch im Zug selber kaufen kann. Ich hatte ja im Vorfeld gelesen, dass so etwas SEHR teuer werden kann – aber wohl nur in Fernzügen. Jedenfalls war das alles sehr interessant. Im Apennin hochmoderne Züge (Touristen halt …) und in der Po-Ebene Uraltmaterial. Abfahrt in Bologna mit Verspätung. Aber dann immer nur abwechselnd  Vollgas bis auf etwa 200km/h und gleich wieder Vollbremsung, wie ich es selten erlebt habe. Die Verspätung war damit natürlich schnell aufgeholt. In Mailand standen viele Bahn-Mitarbeiter auf der Suche nach Hilfe und fanden dann auch mich. Da wurde mir dann geholfen beim Kauf des letzten Tickets nach Rho – nur vergessen zu sagen, dass ich das auch noch entwerten muss. Also nochmal schwarz gefahren, aber Glück gehabt. Ich stieg aus, kurz bevor der Schaffner da war – ich glaube, er rief mich sogar noch, aber das war mir dann auch egal. Schnell raus aus dem Bahnhof …

Der Weg von Rho zum Start verlief über eine vielbefahrene Straße, aber durch kreativen Fahrstil sicher gestaltet. Einfach die roten Ampeln ignorieren. Bis dann wieder Autos von hinten kommen, ist man schon  an der nächsten Kreuzung. Es hätte auch ruhigere Nebenstraßen gegeben, aber für die entsprechenden Umwege hatte ich irgendwie keine Lust.

Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal besser – das wäre dann wohl 2020.